Grußwort Dr. Ismail Boro
Marianne Boro
Ismail Boro
Reya
Sera
Akay
Grimmepreis

Grimmepreis

Ein Filmteam begleitet die Berliner Familie Boro auf ihrer Zeitreise in den Schwarzwald von vor 100 Jahren. Alles beginnt ein halbes Jahr früher in Berlin. Frau Boro sieht im Fernsehen den Casting-Aufruf zum "Schwarzwaldhaus 1902". Sie überredet und überzeugt ihre Familie zum Mitmachen. Sie setzen sich gegen 700 Familien aus ganz Deutschland durch. Die Boros, das sind die Eltern Marianne (46) und Ismail (49), die Töchter Reya (20) und Sera (17) sowie Sohn Akay (12), der jüngste im Bunde. Das Schwarzwaldhaus wurde detailgetreu zurückgebaut und auf den technischen Stand von damals gebracht: Kein Strom, kein fließendes Wasser, Plumpsklo statt WC. Keine Handys, keine Armbanduhren, keine Zigarettenpausen, kein Fast Food. Auch die Filmcrew musste sich an die strengen Vorgaben halten. Lediglich die moderne Kameraausrüstung war erlaubt. Auch im Tal wurden die Uhren zurückgedreht: Die EDEKA-Filiale wurde präpariert. Die Boros durften nur das kaufen, was es 1902 schon gab. Sie bezahlten auch die Preise von 1902, selbstverständlich in Reichsmark. Das Ergebnis ist verblüffend authentisch und glaubwürdig.

Begründung der Jury:
Schon im ersten Aufruf hieß es: "Sie werden Knochenarbeit leisten!" Und so kam es dann auch. Der SWR, durch den Erfolg britischer "Living History"- Projekte wie "The Edwardian House" und "The 1940s House" ermuntert, schickte die fünfköpfige Familie Boro aus Berlin nicht nur in den fernen Schwarzwald, sondern gleich um 100 Jahre in der Zeit zurück. Insgesamt zehn Wochen lebten sie unter den Bedingungen von 1902 auf einem Bauernhof: Aufstehen um 5 Uhr, Tiere füttern, mit nur wenigen Zutaten aufwändig kochen und heizen, Plumpsklo, Zuber und Wasser aus dem Brunnen statt Toilette, Badewanne und fließendes Wasser. Mähen und Melken, Ernten und Holzhacken, lange Gänge zum Markt, wo sie in einem "präparierten" Supermarkt nur das einkaufen konnten, was es vor 100 Jahren tatsächlich gab. "Weiße Suppe", aus zermantschtem Brot und heißem Wasser gekocht, statt Pizza und Spagetti.

Die vierteilige "teilinszenierte" Dokumentation "Schwarzwaldhaus 1902" vermittelt Geschichte "von unten", ohne den belehrenden Zeigefinger zum wichtigsten pädagogischen Mittel werden zu lassen. Der Überlebenskampf der Bauern wird plastisch, hautnah erfahrbar. Die Mitspieler waren außerordentlich gut gewählt - die Boros wachsen an der Aufgabe, ohne sie zu bestehen. Eine geschickte Verknüpfung ihrer Erlebnisse mit zusätzlichen Info-Happen zu Themen wie Auswanderung, Pflanzenfäule und Geschlechterrollen sorgt für die richtige Balance zwischen Individualität und historischem Überbau.
Selten gelang die Vermittlung von Alltagskultur auf derart perfektem und zudem unterhaltsamem Niveau. Die Boros wurden für viele eine "Familie zum Knutschen", zum Mitzittern, auch wenn deren latente Botschaft lautet: "Was sind wir Heutigen doch alle verweichlicht!" Die Zusammenarbeit von Wissenschafts- und Filmredaktion, die kluge Idee der Autoren Rolf Schlenker und Volker Heises (der auch Regie führte), die zurückhaltend Anteil nehmende Kameraführung von Jörg Jeshel bildet eine Gesamtleistung, die nicht nur für das Publikum, sondern auch die Jury des Grimme Preises zu den herausragenden Fernsehereignissen des Jahres 2002 zählt.

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